ÜBER DEM JENSEITS
DIE GEISTERSTADT DER ZOMBIES (Titel der Wiederaufführung)

Originaltitel L'ALDILÀ
Alternativtitel THE BEYOND (USA/Großbritannien)
SEVEN DOORS OF DEATH (US-Erstaufführung von "Aquarius Releasing")
L'AU-DELA (Frankreich)
EL MAS ALLA (Spanien)
HOTEL DER VERDOEMDEN (Niederlande)
E TU VIVRAI NEL TERRORE! L'ALDILÀ (Publicity-Titel)
   
Land und Jahr Italien 1981
   
Regie Lucio Fulci
Produktionsfirma Fulvia Films S. r. l., Rom
Produktion Fabrizio de Angelis
Drehbuch Dardano Sacchetti, Giorgio Mariuzzo & Lucio Fulci
Story Dardano Sacchetti
Kamera Sergio Salvati
Schnitt Vincenzo Tomassi
Musik Fabio Frizzi (US-Version von "Aquarius Releasing": Mitch Tuspeh, Ira Tuspeh)
Make Up-Effekte Giannetto de Rossi
Ton-Effekte Enzo Di Liberto
   
Darsteller Catriona MacColl (Lisa Merrill), David Warbeck (John McCabe), Cinzia Monreale (Emily), Antoine St. John [= Michel Antoine] (Schweik, der Maler), Veronica Lazar (Martha), Anthony Flees (Larry), Giovanni de Nava (Joe, der Klempner), Al Cliver [= Pier Luigi Conti] (Harris), Michele Mirabella (Martin Avery, der Architekt), Giampaolo Saccarola (Arthur, der Hausangestellte), Maria Pia Marsala (Jill, Joes Tochter), Laura De Marchi (Mary-Ann, Joes Frau), Lucio Fulci (Bibliothekar, ungenannt) u. a.
   
deutsche Erstaufführung 22.04.1981
Verleih Alemannia/Arabella
Format 1:2,35
Laufzeit 88 Minuten (= 2355 Meter, deutsche Kino-Version); Originallänge: 88 Minuten
Home-Entertainment Video:
VMP;
GM VILM (als ÜBER DEM JENSEITS);
Astro (als E TU VIVRAI NEL TERRORE! L'ALDILÀ).
DVD:
Anchor Bay Entertainment, USA.

 

Nach WOODOO - DIE SCHRECKENSINSEL DER ZOMBIES (ZOMBI 2, 1979) fertigte Lucio Fulci eine ganze Reihe ungemein blutrünstiger Genre-Filme. Obwohl der Mann so viele bemerkenswerte, ja manchmal richtig hervorragende und originelle Filme gedreht hatte, wurde er nach seinen Zombie-Schockern unglücklicherweise auf diese Splatter-Arbeiten reduziert. Gerade im Ausland feierte man ihn nun wegen dieser Produktionen, die, obzwar gelegentlich wirklich gut gemacht, weit entfernt davon sind, Fulci in Höchstform zu präsentieren.

Lucio Fulci, einstmals Journalist und Filmkritiker, machte sich einen Namen mit einer gänzlich anderen Art von Film: Nach zahlreichen Drehbüchern begab er sich 1959 auf eine lange Reise durch das Gebiet der "commedia all´italiana", des öfteren mit Italiens Starkomiker Totò. Diese Komödiengattung verband schwankhafte Komik mit dem Erbe des Neorealismus, dessen sozialkritischen Anteile in die lauten Clownesken der Varietékomik einflossen. Das Bürgerliche und Reiche war stets die Zielscheibe des Spottes der Arbeiterklasse, welche die große Masse des Publikums stellte. Gute Manieren wurden dabei ebenso häufig durch den Kakao gezogen wie unsoziales Verhalten gegenüber den Minderprivilegierten.

Über eine lange Kette von Komödien, Western, Krimis und Thrillern gelangte Fulci durch WOODOO - DIE SCHRECKENSINSEL DER ZOMBIES gänzlich unerwartet zum Horror-Film. Obwohl er in seinen früheren Produktionen vereinzelt krasse Gewalt verwendete, war das Phantastische ein Bestandteil, der dem Oeuvre Fulcis weitgehend unbekannt war. Was Fulci bei den vielen Schockern, die er im Gefolge von WOODOO erschuf, sicherlich zugute kam, war seine Neigung zu auffallender Optik: Zooms, schräge Kameraperspektiven und experimentelle Spielereien sind bereits in seinen frühesten Filmen festzustellen.

Ob L'ALDILÀ nun der beste Fulci-Zombie ist, ist Geschmackssache. Mit Sicherheit ist das Buch von EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL (PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI, 1980) wesentlich schlüssiger und dramaturgisch wirksamer; L'ALDILÀ aber entzückt das Auge des unvoreingenommenen (und hoffentlich hartgesottenen) Betrachters mit einer derart sprunghaften Erzähllinie, dass es leicht fällt, ihn wohl als surrealsten aller Zombiefilme zu begreifen.

Die Handlung beginnt im Louisiana des Jahres 1927. In einem alten Hotel, das auf den Namen "Zu den 7 Toren" [Anm.: deshalb der amerikanische Erstaufführungs-Titel SEVEN DOORS OF DEATH] hört, treffen Dutzende fackelschwingender Dörfler ein, die alle aus einem klassischen UNIVERSAL-Film geflohen zu sein scheinen. (Dieser Eindruck wird in der englischen Fassung noch dadurch intensiviert, dass die Eingangsszene vollständig in Schwarzweiß gezeigt wird. Tatsächlich scheint die alte deutsche Video- bzw. Kino-Fassung die einzige gewesen zu sein, in der dort Farbe waltet.) Das Gewitter im Hintergrund lässt Böses erwarten. Und recht so, denn die Dörfler nehmen sich einen Maler vor, dessen Ruf vor Ort scheinbar nicht der Beste ist. Man schleppt den Unglücklichen in den Keller, wo er erst an die Wand geschmiedet und dann mit ungelöschtem Kalk übergossen wird. (Hier sollte der bereits erwähnte hartgesottene Zuschauer darauf achten, dass das Landei, das den ersten Griff in den Eimer voll Glück macht, selber einige Spritzer auf die Hand bekommt und nicht einmal die Miene verzieht: Das Landleben härtet eben ab!)

Vierundfünfzig Jahre später erbt die schöne Lisa das Hotel und schickt sich an, den alten Kasten wieder auf Vordermann zu bringen. Leider ist die Periode der Akklimatisierung von Unfällen gesäumt, die den Leuten widerfahren, die sich mit der Renovierung befassen. Ein Bauarbeiter stürzt unglücklich vom Gerüst; ein Klempner geht in den Keller und verliert ein Auge; ein Schlappenschammes fällt von einer Leiter und wird von Spinnen zernagt!

Was für ein Glück, dass Lisa auch einige erfreuliche Gestalten zur Seite stehen, wie etwa der Landarzt Dr. McCabe, dessen Sunnyboy-Auftreten ihn als typischen Italo-Helden dieser Periode ausweist. Auch ist da die blinde Emily, bei der schon der Hall, der auf ihrer Stimme liegt, andeutet, dass sie nicht ganz koscher ist.

Fulci gibt in diesem Film Vollgas. Man fühlt sich erinnert an Lydia Lunch, die ja nur zu gerne (und zu laut) bekennt, dass Stille nicht ihre Sprache sei. Genauso führen in Fulcis Film alle formalen Komponenten ein fast unheimliches Eigenleben, die eine vollkommen verquere Gruselmär, deren Charaktere sich meistens benehmen wie die Narren, zu einer ungemein atmosphärischen Reise in eine Comic-Strip-Paralleldimension umformt, die das Kunststück fertig bringt, die bewusst künstliche Präsentation von Zirkusattraktionen in den Kontext einer klassischen Geistergeschichte und deren traditionellen Gruselmomente zu integrieren. In Fulcis Slapstick-Zauberwelt knirschen Bohlen wie Sägewerke, platschen Kopfwunden wie zerberstende Fässer und werden Spinnen begleitet von einer Geräuschkulisse, die sich zusammensetzt aus dem Quietschen von Mäusen, dem Schrapen und Knautschen von namenlosen Materialien und sogar dem Fiepen von Radiowellen. Und was das Lustigste ist: Es funktioniert! Auf eine sehr eigenartige Weise, zugegeben, aber es fällt schwer, sich dem mysteriösen Charme des Films zu entziehen, der eindeutig jenseits (= L'ALDILÀ) des unfreiwilligen Humors liegt. Es ist so, als wäre Alice statt ins Wunderland in einer Irrenanstalt geraten, und nicht alle Menschen, denen sie dort begegnet, sind nett ...

Es sind sehr viele schöne Einfälle in dem Film: Die Bilder, die der Maler vom Anfang gemalt hat, mit ihren unheimlichen Landschaften, die das wirklich unheimliche Ende des Filmes vorbereiten; Blut, das aus dem Nichts in Wasserlachen erscheint oder aus Wänden läuft; na ja, und halt diese unglaublichen Vogelspinnen, die auf einmal ausgerechnet in der Stadtverwaltung auftauchen, nur um einen Charakter fachgerecht zu zerpflücken ... (Lucio Fulci absolviert hier einen Gastauftritt als Beamter mit Blick auf die Mittagspause - wohl bekommt's!)

Der künstliche Gothic-Zirkus des Filmes findet sich auch in der Musik von Fabio Frizzi wieder, deren Chor unausgesetzt intoniert: "Do-ve sor-ge cre-a-tu-ra?" - was für eine Zeile, was für eine Musik! Die Kameraarbeit von Sergio Salvati steht in Fulci-Produktionen immer für Zooms und Tiefenschärfe-Spielereien in rauen Mengen; so auch hier, der Film ist hyperaktiv.

Was soll man noch zu den Darstellern sagen? David Warbeck ist erneut eine Bank als Held und versprüht weltmännische Gewandtheit mit jedem Schritt, den er macht. Catriona MacColl besitzt genügend Liebreiz, um auch dem grimmigsten Zombie den Kopf zu verdrehen. Beide können auf dem Audiokommentar der jüngst erschienenen US-DVD von ANCHOR BAY vernommen werden, die kaum Wünsche offen lässt.

Hingewiesen sei noch auf die eine klassische Szene während des Schlussansturms der modernden Lieblinge, als der in einen Fahrstuhl eingekeilte David Warbeck versucht, seine Freundin zu beschützen, indem er eine Handfeuerwaffe lädt: Er steckt die Patrone direkt vorne in den Lauf! Scherzkeks Warbeck erwähnte in Interviews, dass er in jedem Film versuche, so etwas hineinzuschmuggeln. In JÄGER DER APOKALYPSE (L'ULTIMO CACCIATORE, 1980, Regie: Antonio Margheriti) etwa überredete er einen Kollegen, sich einen Zigarettenfilter in die Nase zu stecken, so dass der Rauch in der Großaufnahme nur aus einem Loch quoll ... Recht so - die Zeit ist reif für subversiven Humor!

© by CHRISTIAN KESSLER

 

 

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